Das «do» wird zum «hiär»

Ich weiss, es gibt Dialekte, die wirklich «hier» statt «do» verwenden. Züritüütsch gehört meines Wissens aber nicht dazu.

Heute beobachtet: Eine ganze erste Schulklasse voller Zürcherinnen und Zürcher, und davon sagten mehrere solche Sachen wie «chum hiär herä» oder «du chasch mit dinä nochbärrä dört redä, nöd hiär».

Gehört für mich in die gleiche Kategorie wie «du ziigä» statt «du geiss».

Konsonantenschwächung überall in der schweizerdeutschen Sprache

Schweizerdeutsch verwendet oft harte Konsonanten, wo in Deutschland weiche stehen.

Richtig hiesse es  «du bisch so tumm» oder «i bin tünn, du bisch tick» («du bist so dumm», «ich bin dünn», «du bist dick»). Öfter höre ich aber eine neue, verdeutschte Variante: «du bisch so dumm» und «i bin dünn», usw.

Die Frage ist jetzt, ob das sich auch bei Wörtern ohne deutsche Entsprechung fortsetzen wird (z.B. trümmlig, totsch, tätscha) oder ob es bei den wenigen t/d-Verscheibungen bleibt, wo ein deutsches Wort D und ein schweizerdeutsches T verwendet.

Baseldütsch hat so eine Schwächung schon längst durchgemacht: doobel, drämmli, düür, drotzdämm. Allerdings ist Baseldütsch wiederum niederalemannisch, während ich diese seltsame Erweichung nun auch im Hoch- und Höchstalemannischen beobachte, z.B. Züritüütsch.

Ähnliches schon in eurem Dialekt beobachtet? Hinweise aus der Bevölkerung werden gern entgegengenommen.

Jetzt ist die Geiss weg

Nachdem das Schweizerdeutsche schon das Schwii und das Ross verloren hat (junge Menschen sagen «z schwein» und «z pferd»), habe ich heute den Verlust einer weiteren Tierbezeichnung festgestellt: die Geiss ist jetzt in Zürich scheinbar jetzt «d ziigä».

Schweizerdeutsch erhält den Genitiv

Schweizerdeutsch hatte noch nie einen Genitiv. Besitzverhältnisse zeigt man normalerweise so an:

«I mag am Marco sini tomatasauce» oder «Das isch dr Denise ihra hund». Also «Ich mag dem Marco seine Tomatensauce» oder «Das ist der Denise ihr Hund» — mangels Genitiv benutzt das Schweizerdeutsche den Dativ.

Die schleichende Verdeutschung wackelt aber an dieser Regel. Heute gehört: «Ich liäbä Andrés artikel». Üblicherweise wäre es «Ich liäbä am André sini artikel».

Das geht vielleicht in die gleiche Richtung wie das Abhandenkommen des Artikels, wenn man Namen nennt. Richtig war bisher: «Das isch dr Peter», «Kunnt d Franka hüt obad au?» usw. Also «Das ist der Peter», «Kommt die Franka heute Abend auch». Im Singular beobachte ich hier noch keine grosse Veränderung, sobald aber mehrere Personen genannt werden, verwenden die Leute oft «Kömmend Franka und Peter hüt au?» statt bisher korrekt «Kömmend d Franka und dr Peter hüt au?»

Ob die Leute sich das aus dem Hochdeutschen geholt haben oder einfach nur zu faul sind, die Artikel auszusprechen, weiss ich nicht. Es könnte wohl auch aus der Migrantensprache stammen (wie z.B. «gömmer Migros» statt «gömmer in d Migros» oder «kumm Bellevue» statt «kumm an z Bellevue». Übrigens auch zwei Phänomene, die gestandene Schweizerdeutschsprecher bereits übernehmen; manchmal ironisch, manchmal nicht.

Das Relativpronomen schleimt sich weiter ins Schweizerdeutsche

Heute in der Bahn gehört:

Es git no anderi interessanti sachä, diä mer cha machä.

Das ist aus zweierlei Hinsicht interessant: Die schleichende Einführung des Relativpronomens habe ich ja schonmal beobachtet. Der Satz oben hätte früher richtig geheissen:

Es git no anderi interessanti sachä, wo mer cha machä.

Aus Deutschland importiert ist hier aber nur das Relativpronomen «diä». Der Rest des Satzes ist grammatikalisch Schweizerdeutsch: «diä mer cha machä» (die man kann machen), nicht «diä mer mache chan» (die man machen kann).

Wie lange noch, bis auch diese deutsche Satzstellung die schweizerische ersetzt?

Coop untermauert meine These

Öl ins Feuer (haha) der Grillier-Tragödie: Coop betitelt sein Werbematerial mit «Jetzt chame grille».

Wer immer das verbrochen hat, ihr tut der Sprache nicht gut.

Heisst es übrigens nicht «jetz» statt «jetzt»? Den Züridialekt kenne ich trotz der Dauerimmersion nicht perfekt, aber bei uns wäre das entweder «jetz» oder «jetza», niemals «jetzt».

Update: Coop schreibt heute «Jetz chame grilliere». Da müssen sich wohl noch ein paar andere Leute gemeldet haben, damit sie die ganze Kampagne umstellen.

Schweizerdeutsch verliert zwei weitere Wörter

Bei Jugendlichen habe ich das schon länger beobachtet: Man sagt nicht mehr «grilliara» und «parkiara» (grillen, parken) sondern «grilla» und «parka».

Dieser Import aus Deutschland findet sich neu auch an quasi-offiziellen Stellen, zum Beispiel wirbt Coop mit «alles zum grille», fällt später im selben Werbeclip aber auf «bi öis gits jetz alles zum grilliere» zurück.

Wenn sogar gestandene Werber (nicht, dass die alle Deutsch könnten) den Fehler adoptieren, ist das Wort wohl angekommen.

Dabei warb Burger King erst vor einem Jahr mit riesigen Plakaten: Hier wird frisch grilliert. Vorbildlich! Wenn aber nur noch noch ein Werber die Schweizer Schriftsprache richtig beherrscht, geht er im Lärm der Hochdeutschen unter.

Unschuldigstes Opfer der Misere ist die Grille. Denn so fehlt uns die Unterscheidung zwischen Insekt und Kochvorgang, beides heisst jetzt «grilla», den Rest müssen wir uns aus dem Kontext holen. Früher wars mühelos und eindeutig.

Zirp.

Der Plural von Fotos und der schweizerdeutsche Akkusativ

Weitere Anzeichen für ein Aussterben des Alemannischen, kürzlich gehört:

«Er hät fotos zeigt.»

«Z foti» (das Foto) ist aber eines der Wörter, die den Plural mit -na bzw. -ne bilden: Auf Khûrertütsch «d fotana», bei den Zürchern «d fotene».

Stirbt diese Pluralform aus, betrifft das zwar nur ein paar Hundert Wörter, aber eine prägnante Eigenheit unserer Sprache, die sie vom Deutschen unterscheidet.

Im gleichen Zug gehört: «das isch voll für n arsch». Diesen Spruch so aus dem Deutschen zu holen ist aber Blödsinn, da dem Schweizerdeutschen der Akkusativ fehlt (meist wird der Nominativ zum Ersatz).

Es müsste also heissen: voll für dr arsch.

Schweizerdeutsch erhält das «womit»

Heute im Tram musste ich hören, dass es dem «mit was» vielleicht an den Kragen geht. Zwei Mädels vor der Lehrabschlussprüfung. Fragt eine die andere:

Womit häsch am meischte müeh?

«Womit» gab es in der schweizerdeutschen Sprache bisher genausowenig wie «wofür», «weshalb», «worauf» oder «wessen». Stattdessen sagt man «mit was», «für was», «warum» (kausal) bzw. «uf was» (lokal) und «wem sis».

Sowieso gibt es im Schweizerdeutschen eine ganze Menge weniger Adverbiale als im Deutschen. Wenn Zürcher Lehrabschlussprüflingerinnen da einen Trend vermuten lassen, nicht mehr lange!

«Übercho» wird schleichend ersetzt durch «becho»

Wenn man etwas bekommt, heisst es in den meisten Dialekten entweder «übercho» (Zürich und die meisten Dialekte) oder «kriaga» (Khûrertütsch). Baselditsch macht vielleicht eine Ausnahme — ich weiss es nicht.

In Zürich hört man aber immer öfter das neue «becho». Beispiele:

Ich han es buech becho.

Bechunsch du bscheid?

Bechunt er ä rechnig?

statt:

Ich han es buech übercho.

Chusch du bscheid über?

Chunt er ä rechnig über?

Wie man schön sieht, geht in der dem Deutschen angeglichenen Deklination sogar die Trennung verloren.  Etwas, das für viele solche schweizerdeutschen zusammengesetzten Verben grammatisch so charakteristisch ist, wie in Bayern die Doppelverneinung («…wo sich koa mensch ned hisetzt»).

Wäre schade, wenn so etwas der Verdeutschung zum Opfer fiele.

Khûrertütsch scheint nicht betroffen, dort kriegt man Dinge traditionell, man bekommt sie nicht:

Häsch dia rechnig scho kriagt?

Kriagt dä herr döta’n’an kaffee?

Miar kriagend bald a neus sortiment.